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Emotionale Vernachlässigung und Märchen - Die Gänsehirtin am Brunnen

Maria Weidinger • Feb. 02, 2023

Märchen haben mir immer wieder seelische Verletzungen aus meiner emotionalen Vernachlässigung, die ich in meiner Ursprungsfamilie erfahren habe, angezeigt. Sie gaben und geben mir aber auch Hilfen und Mut, weiterzumachen und geben Hinweise zu einer möglichen Lösung, also zu einer inneren Heilung.


In diesem Blogartikel beschäftige ich mich mit dem Märchen "Die Gänsehirtin am Brunnen", die Nummer 179 aus der Sammlung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM 179).


  1. Inhalt in Kurzform
  2. So hat mich das Märchen gefunden
  3. Die Lösung im Märchen: Versöhnung
  4. Die Lösung im Märchen: Die weise Alte
  5. Die Lösung im Märchen: Die Natur
  6. Die Lösung im Märchen: eigene Talente
  7. ...und lebten glücklich: Ausblick

1. Inhalt in Kurzform:

Die jüngste der drei Prinzessinnen hat eine besondere Gabe: wenn sie weint, weint sie Perlen. Der König, sonst ein vernünftiger Mann und guter Herrscher, will eines Tages von seinen Töchtern wissen, welche ihn am meisten liebt. Gold und schöne Kleider meinen die beiden Älteren, die jüngste vergleicht ihre Liebe zum Vater mit Salz. Für den König in dem Moment nicht wertvoll genug, er verstößt seine Tochter. Diese findet Hilfe bei einem alten Mütterchen in einer Einöde. Dort hütet sie über Jahre die Gänse und sitzt beim Mütterchen in der Spinnstube. Da kommt ein Helfer ins Spiel, ein junger Graf. Den triezt das alte Mütterchen, sie schenkt ihm aber eine der Perlen, die die Gänsehirtin in ihrer Trauer geweint hat. Durch diese Perle erfahren König und Königin, dass ihre Tochter noch lebt. Sie machen sich auf den Weg, ihre Tochter zu suchen - und finden sie. Die Liebe findet die Prinzessin und die Einöde wird zum Palast.




2. So hat mich das Märchen gefunden:

Dieses Märchen ist eines der längeren in den KHM (Kinder- und Hausmärchen). Ich hatte mich zum dritten Basisseminar an der Märchenschule eingeschrieben. Zur Vorbereitung sollte ich selbst ein Märchen wählen und es so erarbeiten, dass ich es vor den anderen TeilnehmerInnen frei erzählen kann. Das Märchen "Die Gänsehirtin am Brunnen" kannte ich bis dahin gar nicht. Es hat mich beim ersten Lesen gefesselt, aber mein Herz hat es angesprochen bei den Worten: "...Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten...so sah er (der Graf) in der Dämmerung zwei Gestalten über die Wiese wandeln. Es war der König und die Königin, die hatten aus der Ferne das Licht in dem Häuschen der Alten erblickt und waren drauf zu gegangen..."


Was hat mich da angerührt?

Die Eltern machen sich selbst auf den Weg zu ihrer Tochter, und sie gehen zu Fuß! König und Königin hätten ja auch eine Kutsche oder Sänfte nehmen können. Aber sie machen den beschwerlichen Weg in die Einöde. Lange Zeit habe ich damit zugebracht, darauf zu warten, dass sich meine Eltern zu mir auf den Weg machen. Dass sie sagen, es tue ihnen leid. Dass sie sagen, ja, es war schwierig. Dass sie auf mich zukommen. Das Märchen erzählt nicht, dass der König sich entschuldigt. Das Märchen erzählt eine andere Lösung. Ich habe mich immer danach gesehnt, dass meine Eltern in irgendeiner Form auf mich zukommen, und das hat mein Herz beim Lesen berührt.


Immer wieder konnte ich bei anderen Mitgliedern einer Therapiegruppe hören, dass die den Eltern einen Brief geschrieben haben, und dann kam tatsächlich eine Antwort und Versöhnung. Ich wollte unbedingt von jemandem aus meiner Familie hören, dass ich mit meiner Verletzung gesehen und gehört werde. Vergeblich! Und als mir meine Eltern das nicht mehr geben konnten, Vater gestorben, Mutter schwere Demenz - da hatte ich es auf meine Geschwister verlagert. Die kamen doch aus derselben Familie. Ach, es hat so lange gedauert, bis ich es verstehen konnte - und verzeihen konnte! Nicht nur meinen Eltern und Geschwistern, auch mir selbst. Ich musste erst lernen, mich selbst anzunehmen und zu lieben. Dann brauche ich die Anerkennung der anderen nicht mehr. Und ich kann mit Versöhnung auf die anderen zugehen. So wie es die Gänsehirtin macht, als ihre Eltern das Häuschen der weisen Alten betreten.




3. Die Lösung im Märchen: Versöhnung

Nach meinem Verständnis sind alle Wesen im Märchen Anteile von mir selbst. Wenn nun König und Königin - ein männlicher und ein weiblicher erwachsener Teil von mir - sich auf den Weg machen, dann finde ich am Ende des Weges mich selbst.


Die Erwachsene in mir hat immer versucht, Informationen zu sammeln und Hilfen zu finden. Ich habe Bücher zum Thema gelesen und Therapien gemacht, an Familienaufstellungen teilgenommen, gehe zur Selbsthilfegruppe. So konnte ich viele Dinge erkennen, die ich aus der Kindheit mit ins Erwachsenenalter genommen habe: Glaubenssätze, Wertlosigkeit, Ohnmacht, Opfer sein. Ich konnte aber auch verstehen lernen, wie die Umwelt und das Zeitgeschehen meine Eltern und Großeltern beeinflußt hat. Verständnis und Vergebung zumindest dem höheren Selbst meiner Eltern gegenüber habe ich heute. Und auch mir selbst kann ich versöhnlicher begegnen, das innere Kind heilen und aus der Opferrolle herausholen.


Doch Selbstliebe mir gegenüber fällt mir noch immer schwer. Immer wieder kippe ich auf die dunklere Seite des Lebens und trauere.


Die Gänsehirtin bleibt 3 Jahre in der Einöde. Sie führt da ein ruhiges beschauliches Leben, zurückgezogen. Heilung braucht Zeit. Auch ich ziehe mich immer wieder zurück, bis ich gestärkt ein neues Ziel ansteuere und nach außen gehe in die äußere Welt. Immer wieder geht die Gänsehirtin zu einem Brunnen (Wasser = Gefühle) und weint. Auch ich trauere immer wieder, diese Traurigkeit sitzt so tief. Die läßt sich nicht einfach abstreifen wie eine Haut, dann kommt sie erst recht zum Vorschein.



Inzwischen kann ich sagen, dass ich versöhnt bin. Ich kann ohne Groll auf meine Kindheit und Jugendzeit und einen Großteil meiner Erwachsenenzeit schauen.



4. Die Lösung im Märchen: die weise Alte

Die weise Alte in diesem Märchen überblickt nicht nur das ganze Geschehen und führt alle Fäden letztendlich zusammen. Sie hat's auch faustdick hinter den Ohren, hat Humor und treibt Schabernack.


So eine weise alte Frau gehört schon lange zu meinem inneren Team. Wenn ich sie rufe, kommt sie mit viel Glitzer aus der Sternenwelt zu mir. Sie trägt die universelle Lebensenergie und tröstet und führt mich.


Im Märchen lenkt die weise Alte die Personen, so dass alles geschieht wie zufällig. Die ihr begegnen, vertrauen ihr. Sie triezt den jungen Grafen zwar, aber er darf sich bei ihr auch ausruhen und neue Kraft schöpfen. Genau wie die Gänsehirtin.


Die weise Alte gibt Hinweise und läßt dem Handelnden Spielraum. So gesehen ist die weise Alte wie meine Intuition, meine Bauchstimme, die mir rät. Ach, wenn ich doch noch öfter auf sie hören würde! Zumindest habe ich eine gute Intuition und kann sie wahrnehmen. Auch das durfte ich in all den Jahren üben und verfeinern.



5. Die Lösung im Märchen: Die Natur

Als der junge Graf nach dem beschwerlichen Aufstieg endlich am Haus der weisen Alten ankommt, setzt er sich auf eine Bank und ruht sich aus. Wie schön es dort ist, ich kann den Bach plätschern und die Gänse gackern hören, rieche den feinen Duft des Apfelbaums und der Kräuter und fühle den zarten Windhauch im Gesicht und auf den Armen: "Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter dem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild; ringsumher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war. Mittendurch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte, und die weißen Gänse gingen auf und ab spazieren oder puddelten sich im Wasser."


In der Natur tanke ich auf und hole neue Energien für meine Seele. Die Mittagspause verbringe ich immer draußen zu einem Spaziergang. Ein Gang durch den Wald oder über Wiesen entspannt mich, ich genieße die Geschenke der Natur. Ich lehne mich an einen Baum, spüre meine Wurzeln und blicke hinauf zur Baumkrone und strecke mich wie der Baum zum Himmel. Nicht immer verschwinden negative Emotionen, aber sie verringern sich. Das Sein in und mit der Natur entspannt meinen Geist, so daß ich zumindest klarer sehe und dann vielleicht meine Intuition zu mir dringen kann.


Die Eiche spielt auch eine große Rolle im Märchen, dieser große und mächtige Baum, der so tief wurzelt. Drei Eichen stehen an dem Brunnen, an dem sich die Gänsehirtin immer wieder ausweint.


Wenn es mir psychisch nicht gut geht, weiß ich, dass ich hinaus muss, auch wenn ich mich zwingen muss. Äußerlich in Bewegung kommen, und damit innerlich in Bewegung kommen. Es tut gut, nimm den Unterschied wahr!


6. Die Lösung im Märchen: eigene Talente

Die Prinzessin weint Perlen und sie ist schön wie der Tag. Das bedeutet in der Bildersprache der Märchen, dass sie auch innerlich schön ist, sie hat ein gutes Herz. Deshalb vergleicht sie die Liebe auch mit etwas, das existentiell wichtig ist: Salz. Essen schmeckt nicht (so gut) ohne Salz, unser Körper braucht Salz für bestimmte Funktionen. Und was aus ihr herauskommt, ist auch wunderschön, so wie eine Perle.


Wie soll ich mich damit vergleichen, mich in einer so wunderbaren Person sehen?


Ich bin eine Listenschreiberin, und ich habe alle Zettel aufgehoben, wo ich jemals Rückmeldungen von anderen zu meiner Person bekommen habe. Da steht schwarz auf weiß, was gut und schön ist an bzw. in mir. Und als ich mich mit dem Thema Hochsensibilität und Scanner auseinander gesetzt habe, habe ich ein Projektbuch angelegt mit mehreren Listen: welche Ausbildungen ich habe, was ich schon alles gemacht habe, alphabetische Listen, thematisch geordnete Listen. In Momenten der Ver-Zweifel-ung nehme ich das Buch und lese nach. Ich kann doch einiges! Und ich bin gut (genug).


Dieses Prinzip der inneren Schönheit, die mich ausfüllt und umgibt und begleitet, beinhaltet ein Gebet der Navajo-Indianer:


 Hier kannst Du die lange Form des Gebets nachlesen))

7. ...und lebten glücklich: Ausblick

Mit diesem Blogartikel wollte ich zeigen, wie sich die emotionale Vernachlässigung (oder auch: fehlende Mutterliebe), die ich als Kind und Jugendliche erlebt habe, auf mein Leben als Erwachsene noch immer auswirkt. Du konntest lesen, wo ich mich damit im Märchen "Die Gänsehirtin am Brunnen" wieder-ent-deckt habe. Die Lösungshinweise aus dem Märchen führten mich auf den Weg der Heilung. Heute lebe ich glücklich, zumindest viel glücklicher.


In diesem Blogartikel kannst Du über meine Erfahrungen in der Kindheit lesen.


Vielleicht bist Du auch betroffen von emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit und suchst noch nach Lösungswegen. Gerne begleite ich Dich dabei mit diesem oder einem anderen passenden Märchen. Melde Dich bei mir!


In diesen Blogartikeln zum Thema "Emotionale Vernachlässigung und Märchen" kannst Du noch mehr entdecken:

Der Trommler

Das hässliche Entlein

Der Tontlawald

Die Strahlenperle

- werden verlinkt sobald ich die Artikel veröffentliche -


Fehlende Mutterliebe oder emtional vernachlässigt - Persönliche Erinnerungen

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